Im Porträt

Susanne Atzenroth

Liebe Susanne, du hast im Sommer zwei Nächte in einem Wohnwagen im St. Jacobi-Kirchgarten gecampt. Wie kam es dazu?
Der Wohnwagen - ein „Qek Aero“ Baujahr 1987 - ist mir vor Jahren „zugeflogen“: Mein Sohn entdeckte ihn und hat ihn sich gekauft. Damals war er 19. Er wollte damit auf Festivals fahren. Dann stand er ein Jahr rum. Jetzt ist es meiner. Ich habe ihn mir schön und vor allem verkehrstüchtig gemacht. Gleich auf der ersten Fahrt ist die Idee entstanden, mit dem Wagen für die Kirchenzeitung als Journalistin unterwegs bei den Menschen zu sein. Ich bin für mein Leben gerne unterwegs und unglaublich neugierig, lerne gerne Menschen und Projekte kennen und kann mich dafür begeistern. Es muss nichts Spektakuläres sein. Das Spektakuläre im Unspektakulären finden: das finde ich spannend.

Wie kamst du zur Kirchenzeitung?
Ich wohne in der Prignitz und schreibe Berichte für die Stadtmagazine von Pritzwalk und Perleberg. Für die Zeitung „Die Kirche“ mache ich jetzt im dritten Jahr die Sommerserie „Die Kirche unterwegs“. Denn es gibt viele Gegenden in dieser schönen großen Landeskirche, die in den Artikeln kaum vorkommen, weil es auf dem Land weniger Mitarbeiter gibt als in Berlin: Uckermark, Havelland, Lausitz oder eben auch die Prignitz. Seit der Wohnwagen mir zugeflogen kam, fahre ich aufs Land, besuche die Leute und nehme ein bisschen Zeit mit.
Ich war 30 Jahre lang Mitglied im Gemeindekirchenrat (GKR), auch als Vorsitzende. Ich war Mitglied der Kreissynode und arbeitete in vielen Ausschüssen mit. Zur letzten Wahl habe ich die vielen Ämter niedergelegt, weil ich mich wieder mehr inhaltlich in die Kirche einbringen möchte, und weniger organisierend und verwaltend. Jetzt mache ich eine Ausbildung zur Lektorin. Als Lektorin kann ich selbstständig Gottesdienste leiten und Lesepredigten halten.

Vermisst du die Gremienarbeit manchmal?
Tatsächlich arbeite ich nach wie vor in kirchlichen Ausschüssen mit. Ich habe auch die Schlüssel zu meiner Dorfkirche in Schönhagen bei Pritzwalk, wo ich wohne. Dort mache ich auch Führungen. Es ist eine kleine Kirche mit einem für Brandenburg typischen Taufengel (Foto). Den lassen wir im Frühjahr bei der Taufe meines Enkels Josef wieder von der Decke schweben. Ursprünglich komme ich aus Braunschweig. Mit der Wende kam ich nach Brandenburg. Schon meine Großeltern wohnten in Schönhagen, waren aber in den 50er Jahren weggezogen. Nun bin ich zurückgekehrt. Meine drei Söhne sind wieder Brandenburger und in Schönhagen ganz tief verwurzelt.

Wie entwickelt sich das kirchliche Leben auf dem Land?
In der Prignitz sind in den vergangenen Jahren viele junge Pfarrpersonen dazugekommen. Auf dem Land gibt es – vielleicht mehr als in Berlin – die Möglichkeit für Pfarrerinnen und Pfarrer, sich auszuprobieren, Neues auf die Beine zu stellen. Denn die Konkurrenz durch andere Angebote im kirchlichen und kulturellen Bereich ist auf dem Land nicht so groß wie in der Metropole Berlin. Ein junger Pfarrer aus Berlin bleibt nach seinem Entsendungsdienst in der Prignitz nun für die nächsten zehn Jahren hier. Er macht Gemeinwesenarbeit, zusätzlich zum Pfarrdienst, und knüpft bei Dorffesten, bei der Freiwilligen Feuerwehr, Sportfesten und bei Vereinen Kontakt mit den außerkirchlichen Akteuren. Das schafft neue Kontaktflächen, die das gute Miteinander auf dem Land fördern.

Wie genau kann man sich das vorstellen?


Die Idee ist, die starren Grenzen von Kirchengemeinden aufzubrechen. Dass man sich kennt und gemeinsame Projekte mit Menschen außerhalb der Kirche schafft. Wir haben eine Zukunftskonferenz veranstaltet und überlegt, was wir gemeinsam tun können. Alles steht und fällt mit den Menschen. Kirchengemeinden wachsen am Input von draußen. Und die Gemeinwesenarbeit in Kommunen wächst am Input von Kirche.

Was war das Ergebnis?
Das Ergebnis der Zukunftskonferenz war, dass wir uns alle besser kennengelernt haben – über die engen Gemeindezirkel hinweg. Wir haben eine Stelle für Öffentlichkeitsarbeit geschaffen und Stellen für Gemeindesekretärinnen, in den Gemeinden, die keine hatten. Außerdem gründeten wir ein Eltern-Kind-Zentrum. Die Zukunftskonferenz wurde vom Berliner Amt für Kirchliche Dienste (AKD) begleitet. So eine gemeinsame Veranstaltung mit Multiplikatoren außerhalb unserer Kirchen-Blase kann ich nur empfehlen.

Und was hat dich heute hier nach Kreuzberg gebracht?
Für den Sommer 2021 habe ich mir das Thema „Spiritualität und Tourismus“ ausgesucht. Dazu gehört natürlich das Pilgern. Mit meinem Wohnwagen bin ich selbst etwas auf einer Pilgerreise. Meine einzige Berliner Station auf meiner Sommer-Tour ist das Pilgerzentrum St. Jacobi in Kreuzberg.

Welche anderen Orte hast du noch besucht?
Ich war in Neu-Temmen im Kirchenkreis Oberes Havelland, an der ersten NABU-Kirche Deutschlands. NABU ist der Naturschutzbund Deutschlands. Ich parkte meinen Wohnwagen neben der Kirche, bekam den Kirchenschlüssel und hatte die ganze Kirche für mich allein.
Dann war ich In Groß-Ziethen, bei Joachimsthal, in der Pilgerherberge im evangelischen Gemeindehaus. Die letzte Station vor Berlin war Serwest im Barnim beim Kloster Chorin/ Schorfheide. In der Uckermark begleitete ich eine Kirchenradtor und besuchte die Junge Gemeinde „Sterne und Mohn“ und interviewte dort die Teamerinnen. Nach St. Jacobi geht es weiter nach Michendorf. Der dortige Pfarrer, Michael Dürschlag, begleitet mich gerade mit seinem Abendsegen jeden Tag auf RBB 88,8. In Kloster Lehnin treffe ich mich mit der Spiritualitäts-Beauftragten der Landeskirche, Pfarrerin Andrea Richter, um mich mit ihr über das Thema „Spiritualität, Tourismus und Ökologie“ auszutauschen. Dort besuche ich auch das evangelische Gymnasium in der Stadt Brandenburg an der Havel. Die Schüler haben neuerdings Schafe und Weinberge und stellen ihren eigenen Wein her.

Was macht Pilgern aus?
Worte die mir begegnen. Der Weg gibt dir alles, was du brauchst. Pilgern bedeutet, Vertrauen zu haben. Ich pilgere mit dem kleinen Wohnwagen und muss jeden Tag neu schauen, wo ich lande, wo ich einen Parkplatz finde. Und WLAN. Pilgern ist das Vertrauen darauf, dass alles, was ich brauche, sich ergeben wird. Das kann man üben. Beim Pilgern mache ich Begegnungen mit Menschen, die inspirierend sind, und die ich im normalen Arbeitsalltag nicht habe. Beim Pilgern ist man alleine, aber auch offen in der Stille. Man braucht Inspiration, damit die Gedanken sich positiv weiterentwickeln. Die Offenheit, mit der man beim Pilgern unterwegs ist, ist ein großes Geschenk. Pilgern heißt, in Bewegung sein. Aber es muss nicht Wandern sein. Auch Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, können pilgern. Pilgern ist eine Haltung. Sie beginnt im Herzen.

Liebe Susanne, ich danke dir für das Gespräch.
Mit Susanne Atzenroth sprach Pfarrer Christoph Heil.